Wir funktionieren nicht alle nach demselben Schema und sind nicht alle mit denselben Mitteln zu beeinflussen und schon gar nicht zu berechnen. Kybernetiker, Biologen und Mathematiker haben in der Chaostheorie gezeigt, wie hochkomplex und letztlich nicht determinierbar rückbezügliche Systeme sind. In dieser dreiteiligen Textserie aus 2005 skizziere ich die Arbeiten von Lorenz, Maturana und Varela und von Foerster. Allen gemeinsam ist, dass sie sich mit einem der wichtigsten Aspekte selbstorganisierender Systeme beschäftigt haben: Rückbezüglichkeit, Selbstreferentilität, Rückkopplung bzw. Rekursivität1 also die Tatsache, dass Systeme vergangenheitsabhängig, dynamisch auf sich selbst reagieren. Edward Lorenz zeigte wie kleinste Veränderungen in Anfangsbedingungen riesige Auswirkungen haben können. Wie schwer es also ist dynamische Systeme vorrauszusagen.
Edward N. Lorenz – der Mann mit dem Schmetterling
Chaostheorien als Teilgebiete der Mathematik und Physik beschäftigen sich mit bestimmten nichtlinearen, dynamischen Systemen. Darunter versteht man Systeme, in denen nichtlineare Input Output Beziehungen herrschen, dies bedeutet der Output ist nicht proportional zum Input. Die Beschreibung chaotischer Systeme verlangt die Verwendung nicht-linearer Gleichungen, in denen die Variablen rekursiv gekoppelt sind.
„Die Chaosforschung ist einerseits aus dem Bemühen entstanden, sehr ungeordnet erscheinenden Abläufen, Vorgängen oder Strukturen doch eine gewisse Ordnung nachzuweisen, und andererseits aus der Überraschung, dass bestimmte Abläufe, von denen man nur wohlgeordnetes Verhalten erwartet hätte, unter bestimmten Voraussetzungen völlig chaotisch erscheinendes Verhalten zeigen. Es geht also letzten Endes darum zu verstehen, unter welchen Voraussetzungen geordnetes Verhalten vorliegt, und zu versuchen innerhalb des nicht geordneten Verhaltens den Grad und die Art der dennoch vorhanden Ordnung nachzuweisen.“ (G. Binnig, Aus dem Nichts; München ´89)
Chaos beschreibt also nicht den Zustand eines Systems, sondern sein zeitliches Verhalten, seine Dynamik. „Chaos“ darf also nicht umgangssprachlich als zufällig oder System ohne Ordnung verstanden werden. Chaotisch sind Systeme vielmehr dann, wenn ihr Verhalten für nicht exakt vorhersagbar ist, obwohl sie sehr wohl deterministisch (nicht zufällig) funktionieren. Charakteristisch für chaotische Systeme ist, dass keine umfassenden, Prognosen möglich sind, dass man bestenfalls eine Art Rahmen prognostizieren kann.
Chaostheorie und das Wetter
Ein sehr gutes Beispiel für ein solches System ist das Wetter. Der Meteorologe N. Lorenz programmierte in den 60ern einen Computer so, dass er ihm das Wetter voraussagen sollte. Dazu stellte er zwölf Wetterregeln auf, die zyklisch wiederkehrten. Das Wetter ist nämlich in gewisser Weise vom Wetter des Vortages, seiner eigenen Vergangenheit, abhängig. Lorenz programmierte seine Regeln so, dass das der Output des einen Rechenschrittes zum Input des nächsten Schrittes wird.2
Lorenz gab Startwerte ein (zum Beispiel die Temperatur, den Druck und die Windgeschwindigkeit des aktuellen Wetters) und ließ den Rechner eine Langzeitprognose erstellen. Am nächsten Tag wiederholte er den Versuch, kam aber zu einer völlig anderen Prognose, sie ergab, dass nach nur wenigen Monaten des simulierten Wetters alle Ähnlichkeiten der Verläufe verschwunden waren. Er fand den Fehler für dieses stark abweichende Prognose aber nicht im Computer sondern in seiner Eingabe. Da er bei seinem Kontrollversuch einen gerundeten Wert von 0.506 anstatt von 0.506127 eingegeben hatte stellte sich die Prognose komplett anders da. Eine Abweichung in dem Anfangswert von etwa einem Tausendstel hatte also zu einer riesigen Abweichung der Outputwerte geführt – ein Effekt, der als Schmetterlingseffekt bekannt wurde. Man sprach davon, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings im Amazonas einen Orkan in der Karibik auslösen könne. Diese Annahme gilt aber heute als widerlegt.
Chaos ist kein Zufall
In Lorenz streng deterministischen computergenerierten Systemen kam es aufgrund von rekursiven Mechanismen zu unerwartbaren Ergebnissen (Zufällen), die dadurch entstehenden Strukturen erscheinen aber nur aufgrund ihrer Unverwertbarkeit zufällig. Als chaotisches System fassen wir ein System dessen jeweiliger Zustand Output einer Iteration ist, deren Input der vorherige Zustand ist. Chaotische Systeme sind aufgrund der Sensitivität von den Anfangswerten nicht exakt vorhersagbar, obwohl sie deterministischen Regeln folgen.
1 Rekursion (lateinisch: re-currere, zurücklaufen) bedeutet Rückbezug auf sich selbst
2 Der konkrete Zustand eines chaotischen Systems lässt sich nicht in dem Sinne berechnen, dass man eine Formel mit ein paar Zahlen füttert und dann sogleich ein Ergebnis bekommt. Will man wissen, wie sich ein chaotisches System verhält, bleibt einem meist nichts anderes übrig, als sich Schritt für Schritt vorzutasten. Das Ergebnis eines Rechenschritts ist die Eingabe für den jeweils nächsten. So wird ein Systemzustand nach dem anderen berechnet, bis man an dem gewünschten Punkt angelangt ist. Die Mathematiker sprechen auch vom „iterieren“.