Systemsprenger

In dieser Episode des Hörsaal Podcast von DLF Nova spricht Menno Baumann über Systemsprenger und das pädagogische System. Der Vortrag wurde auf der Consozial 2019 gehalten. Menno Baumann ist Professor für Intensivpädagogik und hat Nora Fingscheidt für ihren Spielfilm Systemsprenger wissenschaftlich beraten.

Was sind Systemsprenger

Menno Baumann nutzt den Begriffe Systemsprenger für Kinder die eine negative Karriere in Hilfesysteme durchlaufen haben, obwohl er “sich jahrelang mit dem Begriff gestritten” habe. Er wolle nun gar keinen politisch korrekten Begriff mehr für ein Phänomen, welches selbst nicht politisch korrekt ist. Wichtig ist ihm festzuhalten, dass der Begriff Systemsprenger keine Diagnose ist, sondern eine Beobachtungskategorie. Soziologisch gesehen ist die Regel ist, dass Menschen Grenzen überschreiten.
Der Vortrag ist sehr zu empfehlen, da Baumanns systemische Perspektive tolle Einblicke und Perspektiven ermöglicht und im positiven Sinne zu verstören weiß. So ist für ihn schon der Begriff Systemsprenger keine negative Bezeichnung für ein Kind, sondern drückt vor allem die Unfähigkeit des Hilfesystems aus mit diesem Kind umzugehen. Es ist nicht das Kind welches versagt, sondern versagende Kinder sind ein Zeichen für misslungene Inklusion. Dem System gelingt es nicht “die bedingungslose Teilhabe der Kinder, so wie sie sind, zu ermöglichen”.

Grenzen in der Pädagogik

Er macht dies anhand des Bildes der Grenze deutlich, die die diese Kinder überschreiten. Für ihn ist eine sinnvolle Grenze in der Pädagogik keine “Berliner Mauer”, in der eskaliert wird, wenn sich jemand dieser Mauer nähert, sondern er sieht die Grenze als “Membran” die dazu da sind um die Prozesse im Inneren zu schützen. Ihm geht es also nicht um Sanktionen, sondern um Schutz. Kommt es zu Grenzüberschreitungen geht es also nicht um sanktionierende Konsequenzen, sondern darum den Schaden zu heilen. Genau so wie es für das Immunsystem nicht darum gehen würde “einen Splitter zu bestrafen, sonder die verletze Stelle zu heilen”. 

Er widerspricht damit dem Ideal der Konsequenten Regeldurchsetzung sondern befürwortet, dass Regeln und auch Regelübertritte immer daraufhin geprüft werden, ob sie gerade wirklich etwas schützen und was es braucht sie zu heilen.

Was macht pädagogische Angebote erfolgreich

Zur Leitfrage des Vortrags was pädagogische Angebote erfolgreich macht hat Baumann diverse Fälle analysiert in denen es zu einer Beruhigung eskalierter Situationen kam und eine Liste zum Gelingen von intensivpädagogischen Angeboten erstellt:

  • Die Angebote sollten konfliktsicher, deeskalierend und präsent sein – Pädagogen benötigen einen sicheren Rahmen um in die Konflikte gehen zu können. Deeskalierend zu sein ist nicht mit nachgeben oder ausweichen zu verwechseln. Die Kunst liegt darin zu deeskalieren und trotzdem präsent zu bleiben. So gelingt es auch in schwierigen Momenten noch handlungsfähig zu bleiben. “Das Gegenteil von Scheitern in der Jugendhilfe ist nicht Erfolg, sondern handlungsfähig zu bleiben“
  • intensivpädagogische Angebote sind idealerweise reflektiert bezüglich Nähe, Distanz Bindung und Abgrenzung – Es geht nicht darum in jedem Fall bindungsorientiert zu handeln. Oft muss man einfach akzeptieren, dass Kinder auch Distanz brauchen und der Zaubertrick bestehe darin „kleine Türen für die Erfahrung der neuer Bindung zu öffnen“. Man müsse Dranbleibend, haltend, nicht zu leicht abzuschütteln.
  • Kinder sollen also nicht so einfach weitergereicht. Es braucht Orte die Halten, die Halt geben und aushalten.
  • Gerade in Übergangssituationen braucht es viel Aufmerksamkeit und nach Möglichkeit Kontinuitäten. z.B. ist ein Betreuer mit 18 jährigen ins Betreute Wohnen “umgezogen” und war damit ein Pflock der Kontinuität
  • Pädagogisch Arbeitende benötigen emotionalen Schutz, nicht nur durch Supervision, sondern auch durch schnelle erste Hilfe wie z.B. in der Notfallseelsorge. Auch Pädagogen haben ein Recht auf Unterstützung in und nach Ausnahmesituationen.
  • Hilfe muss flexibel und gut ausgestattet sein.
  • Es braucht in der Pädagogik „eine gemeinsam geteilte Repräsentation des Problems” zwischen den Pädagogen und den Personen die sie zum gemeinsamen Lernen motivieren wollen und denen sie ermöglichen wollen Sozialverhalten zu erlernen. Denn nur so können im gemeinsamen Tun Lösungen entwickelt werden.