Geschichten erzählen in der Beratung ist eine wunderbare Methode um Deutungsangebote zu machen und eine Irritation zur Verfügung zu stellen. Anders als die Erfolgsgeschichten, welche einem relativ starren inneren Muster folgen, können erzählte Geschichten in der Beratung völlig frei sein und den verschiedensten epischen Gattungen – Anekdote, Kurzgeschichte, Sage, Märchen, Parabel etc. entnommen werden. Für Berater*innen tut sich der riesige Schatzschrank menschlicher Erzählkunst auf. Aber warum sollte man in der Beratung die wertvolle Zeit der Klient*innen mit Geschichten ausfüllen?
Geschichten erzählen
Um es kurz zu machen, weil Geschichten viel mehr sind als einfach nur der Bericht einer Handlung. Der Podcast zum Geleit dieses Blogeintrags sagt im Titel schon alles: Warum wir erzählen – der Mensch, das geschichtenerzählende Tier. Wir Menschen lieben, atmen, verstehen, denken in und sind Geschichten.
Geschichten haben eine unglaubliche Anziehung auf uns, weil wir seit frühester Kindheit gewohnt sind Geschichten zu hören und beim Zuhören in eine Art entspannte Aufmerksamkeit gelangen (ähnliche wie bei Meditation, Yoga oder Trance) und so Inhalte tiefer aufnehmen und sie häufig unbewusst weiterwirken. Geschichten können sich am logischen Denken vorbeimogeln; sie regen Emotionen, (archetypische) Symbole und Bilder an und bringen uns in Kontakt zu unseren Glaubenssätze. Sie schaffen eine Metaebene mit übergeordneter Bedeutung, die Menschen teilen können.
Geschichten erschaffen ein „als ob“, ein „was wäre wenn“, sie eröffnen uns in der Vorstellung, und damit prinzipiell auch in der Realität, einen Raum der Möglichkeiten. Geschichten zu hören kann bedeuten Erfahrungen zu machen, die so real sind als hätte man sie selbst gemacht. Sie können auf magische Weise passen und als Quell der Inspiration und der Motivation dienen und neue Perspektiven öffnen. Gerade weil Geschichten eben nicht immer direktiv sind und auf unterschiedliche Weisen gelesen werden können, sind sie ein Quell der Inspiration und können in den Zuhörenden nachreifen. Dabei ist gar nicht wichtig, dass alles in der Geschichte verstanden wird und auch auch nicht, dass die Geschichte genau auf die eigene Situation zu übertragen ist, da Geschichten erzählen viel eher hinweist, als dass es beweist.
Geschichten erzählen als hinweisen, nicht beweisen
Auf diesen Fakt macht beispielsweise der Physiker und Philosoph Heinz von Foerster aufmerksam. Er scheint in seinen späten Jahren die Überzeugungskraft und und Uneindeutigkeit von Geschichten/Parabeln gegenüber z.B. wissenschaftlichen Formen der Argumentation in einigen Situationen bevorzugt zu haben. So sagt er in einem Interview mit Monika Böcker:
Ich möchte in der ganzen Diskussion [darüber wie Ethik gelehrt werden kann – Anm. SW] argumentative Methoden, wie zum Beispiel Deduktion oder Kausalität, Methoden, wo man von einem Satz zu einem andren springen kann, von einer Behauptung zu einer anderen; wo man, wie man so oft sagt „beweist“, dass dieser Satz korrekt ist, ebenfalls völlig vermeiden. Ich möchte diese Methoden des Zeigens irgendwelcher Gedanken vermeiden. Und da frage ich mich natürlich, wie ich etwas zeigen kann, wenn ich es nicht durch Deduktion oder durch Kausalität untermauern kann. Natürlich gibt es da eine Menge Gedanken. Der eine Gedanke oder die eine Methode, die die großen Männer und Frauen alle schon verwendet haben ist natürlich die Metapher oder die Parabel. Wenn ich bedenke: Jesus hat niemals gesagt: „Weil das und das ist, ist dieses“, sondern er hat nur angedeutet. „So wie“ waren immer seine Parabeln. „So wie ein Kamel nicht durch ein Nadelöhr gehen kann, kann ein reicher Mann nicht in das Himmelreich eintreten.“ Jetzt kann man natürlich fragen: „Ja, aber wieso kann ein reicher Mann nicht ins Himmelreich eintreten, wenn ein Kamel nicht durch ein Nadelöhr gehen kann? Was hat das Kamel mit dem reichen Mann zu tun? Können Sie mir das erklären?“ Da würde, nehme ich an, Jesus gesagt haben: „Das überlasse ich Ihnen. Deswegen habe ich diese Parabel so gewählt.“ Und Menschen sind anscheinend für parabolische, metaphorische Bemerkungen empfänglich. Man lebt gerne in einer Geschichte, die man in einer Richtung versteht und die einem dann als Basis für das Verständnis einer anderen Geschichte zur Verfügung steht.
HvF – Teil der Welt – Fraktale einer Ethik
Gerade in ethische/moralische Fragen, oder wenn es darum geht wie wir zusammenleben wollen, oder Lösungen für unsere Probleme suchen, gibt es keine logische Alternativlosigkeit, kein Patentrezept, als Lösung für alle Menschen. Wir entscheiden in diesen Situationen prinzipiell unentscheidbare Fragen. Daher helfen in diesen Fällen uneindeutige Geschichten („Das überlasse ich Ihnen“) häufig mehr als rein logische Konklusionen.
Ed Watzke – die Methapernbrücke
Diese Form des Geschichten erzählen hat Ed Watzke zur Perfektion gebracht. Seine Art etwas anzudeuten, etwas nicht direkt anzusprechen, sondern Ein „als ob“ anzubieten hat er in seinem ganz hervorragenden Buch „Wahrscheinlich hat diese Geschichte gar nichts mit Ihnen zu tun…“ dargelegt. Darin entwickelt er seine Methode der „Methapernbrücke“. Watzke, Mediator für hoch eskalierte Konflikten, beschreibt sie so
Nicht die Differenzen der Parteien werden zum Thema, sondern wie, in welchen Mustern tragen sie ihre Differenzen aus? Doch auch dabei bleibt der/die MediatorIn zumeist auf einer sehr allgemeinen, kollektiven Ebene und fokussiert zugleich auf methaphorischer Ebene auf die Innenwelt der KlientInnen…
Kurzum Ed Watzke geht weg vom eigentlichen Konflikt hin zu allgemeinen Parabeln und Metaphern über Konflikt, Krieg und Auseinandersetzung und was sie mit den Menschen machen. Neben einer guten Einführung in seine Methode der Methapernbrücke erhält sein Buch zudem ein kurzes Kapitel über die Methode des Storytelling.
Geschichten erzählen als Bestandteil der beraterischen/therapeutischen Beziehung
Eine weitere Möglichkeit in der Beratung Geschichten zu erzählen, ist das Berichten von eigenen Erfahrung. Eine kurze Geschichte „ich habe einmal etwas ganz ähnliches erlebt…“ kann in einem Beratungsprozess ein Türöffner sein und die Beziehungsebene stärken. In Geschichten kann der/die Beratende sich sichtbar machen und dadurch als Person erscheinen, die sich nicht hinter einer professionellen Maske versteckt. Carl Rogers, der Gründer der Gesprächspsychotherapie, hätte in diesem Zusammenhang wohl von Kongruenz gesprochen.
Es mag sich komisch anfühlen zum ersten Mal in der Beratung eine Geschichte zu erzählen und nicht allen mag diese Art der Beratung liegen, ein Versuch lohnt sich aber.
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